CHAO-KANG CHUNG

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Aristo Prolo. Der Künstler als Arbeiter

Gerd Blum

 

Spiegel und offenes, geöffnetes Fenster sind seit Leon Battista Albertis Traktat über die Malerei von 1435/36 häufige Metaphern und Modelle für das neuzeitliche Gemälde – für die neue, zentralperspektivisch konstruierte Malerei, die täuschend eine auch außerbildlich vorhandene Wirklichkeit nachbilden soll.  Fenster und Spiegel stehen für das Phantasma einer verlustfrei abbildenden und bei aller Illusion doch wahrhaftigen, auf sichtbare Wirklichkeit bezogenen Malerei.

Chao-Kang Chung bezieht sich auf beide Modelle, Spiegel und Fenster. Seine Gemälde ahmen Spiegelbilder und Fensterblicke nach. Der gesamte Bildträger spiegelt. Überdies scheinen wir öfter nicht auf ein Gemälde, sondern durch das spiegelnde Glas zeitgenössischer Displays, zeitgenössischer Derivate des Fensters, zu blicken: auf, in und durch Vitrinen und Schaufenster (s. A. Friedberg, Window Shopping: Cinema and the Postmodern, Berkeley, Los Angeles 1993).

Doch während diese Derivate der „fenestra aperta“ Albertis (auf das sich noch Bill Gates’ Programm Windows angeblich mit seinem Namen beziehen soll) beim “window shopping“ in den Städten und Shopping Malls die Objekte der Begierde klar und deutlich präsentieren, verwirrt der Blick auf die Gemälde Chungs. Listig überlagert Chung die Illusionen von Spiegelbildern und Fensterblicken, die Verführungen spiegelnder Flächen und durchsichtiger Räume. Das Ergebnis ist nicht die Illusion von noch mehr Transparenz, sondern verwirrende Intransparenz. Vieles an Gegenstand und Figur, das erkennbar virtuos, mittels viel Arbeit und Eifer auf die hermetisch versiegelt-verspiegelten Flächen gemalt wurde, erkennt man nicht. Chung hat massive Störungen des Illusionismus eingebaut. Er schafft eine Bildlichkeit, die den neuzeitlichen Illusionismus der westlichen Malerei fortschreibt, die aber auch – nicht zuletzt durch störende Reflektionen – eine Reflexion auf die Unwirklichkeit des Bildes und die Listen der Maler eröffnet.

Zugleich kann sich der ruhige Blick der Betrachterinnen und Betrachter jenen Bildbereichen zuwenden, bei denen auch bei genauestem Hinsehen nichts zu erkennen war. Sozusagen erblindete Spiegel- und Fensterblicke überlagern sich hier zu Farbflächen und –schleiern, in denen sich Transparenz und Intransparenz atmend zu verweben scheinen. Dies erinnert an ältere Metaphern der Malerei, etwa die berühmte Spiegel-Metapher im ersten Korintherbrief (vgl. K. Krüger, Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien, München 2001; G. Wolf: Schleier und Spiegel. Traditionen des Christusbildes und die Bildkonzepte der Renaissance, München 2002).

Auch rückt Chung ständig einen Akteur, der sowohl im perspektivischen Gemälde als auch in der Warenwelt der scheinbar transparenten Displays unsichtbar bleibt, in den Blick: den Maler, sich selbst. Der Maler erscheint nicht als aristokratischer Meisterdenker, wie in Vermeers Malkunst oder in Velasquez’ Atelierbild der Meninas. Chung zeigt sich als Arbeiter, nicht als traditionellen Handwerker, sondern eher als Facharbeiter, wie einen Anstreichergesellen im Akkord. Aristokratisch ist auch bei Chung die Ironie und Skepsis eines selbstreflexiven Meta-Malers; proletarisch hingegen erscheint der Künstler als Macher (so in der Serie Der Künstler in seinem Atelier).

Nicht nur verbindet Chung zentrale Topoi der Selbstreflexivität der Renaissance-Malerei (Fenster, Spiegel) mit weit älteren Traditionen der christlichen Malerei (mit der vera icon hat er sich in einer früheren Arbeit beschäftigt). Er konfrontiert auch die scheinbare Aseptik und Sterilität der Hochkunst für den White Cube mit den Mühen des Machens.

 

Veröffentlicht in: Chao-Kang Chung - Im Studio, Kunstverein Lippstadt; Hachmeister Galerie, Münster, Lippstadt 2018, S. 2.